Pflegereform

Pflegefinanzierung Zukunftsmodell genossenschaftliche Pflege?

Stand: 23.02.2019 14:04 Uhr

Die Pflegefinanzierung steht auf wackligen Füßen. Wer soll für die wachsende Zahl Pflegebedürftiger in Zukunft aufkommen? In Bayern zeigt eine Genossenschaft, wie es gehen könnte.

Von Sandra Stalinski, tagesschau.de

Noch drei Jahre lang wird das Geld reichen. So die Prognose von Gesundheitsminister Jens Spahn. Gerade erst wurde der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Bis 2022 dürfte die Finanzierung damit stehen. Was danach ist, sei unklar, sagt Spahn und fordert deshalb eine Grundsatzdebatte über die Finanzierung der Pflege.

Die Zahl der Pflegebedürftigen - derzeit fast dreieinhalb Millionen - steigt stetig: Experten rechnen bis 2050 mit viereinhalb bis fünf Millionen Menschen. Weil es schon jetzt zu wenige Pflegekräfte gibt, wird auch deren Bezahlung weiter steigen müssen, um den Beruf künftig attraktiver zu machen. All das werden die Beitragszahler und die Pflegebedürftigen bald nicht mehr allein tragen können. Es braucht Konzepte, wie künftig eine Pflege mit hoher Qualität angeboten werden kann, die trotzdem bezahlbar bleibt.

Bau von Pflege-WGs - ohne hohe Gewinnerwartung

Martin Okrslar und ein paar Gleichgesinnte hatten da eine Idee: Sie gründeten die Genossenschaft Maro, die an verschiedenen Orten im südlichen Bayern selbstbestimmte Wohnprojekte ins Leben ruft, darunter auch Demenz- und Pflege-WGs. Denn neben der Bezahlung des Pflegepersonals sind es vor allem die Investitions- und Gebäudekosten, die die Pflege teuer machen. Seit Jahren drängen mehr und mehr private Investoren in den Markt, die insbesondere mit den Pflegeimmobilien hohe Renditen erzielen.

In der Maro-Genossenschaft ist das anders. Hier werden Wohnungen beispielsweise für Demenz-WGs gebaut, ohne hohe Gewinnerwartungen, denn Genossenschaften arbeiten - ähnlich wie gemeinnützige Anbieter - nicht gewinnorientiert. "Wir als Genossenschaft sehen das nicht als Geschäft, für uns zählt die inhaltliche Ausrichtung", sagt Okrslar, der einer der Vorstände ist, im Gespräch mit tagesschau.de. Das Ganze müsse zwar wirtschaftlich sein und sich selbst tragen, aber niemand wolle aus der Genossenschaft das große Geld rausholen.

Hohe Profite für Investoren fallen weg

Die Demenz- und Pflege-WGs werden von Angehörigen und teils Bewohnern selbst organisiert. Sie stellen gemeinsam die Regeln auf und suchen sich einen Pflegedienst, der die Bewohner rund um die Uhr betreut. Die Genossenschaft stellt die Wohnungen, die nach dem Genossenschaftsprinzip finanziert werden. So kann verhindert werden, dass Investoren, Aktionäre, Bauträger oder Makler hohe Profite aus den Immobilien ziehen. Dadurch können die Mieten der Maro-Wohnungen - zumindest mittel- und langfristig - unter dem eigentlichen Marktwert bleiben, weil es in der Genossenschaft kein Interesse an hohen Preissteigerungen gibt.

Martin Orkslar | Bildquelle: Birgit Davies
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Martin Orkslar, Vorstand, sieht die Maro-Genossenschaft als Selbsthilfevereinigung der Bürger.

850 Mitglieder hat die 2012 gegründete Genossenschaft inzwischen. Einige werden Mitglied, weil sie in eins der Wohnprojekte einziehen oder sich für später einen Platz in einer der Pflege- oder Demenz-WGs sichern wollen. Verteilt werden die Plätze nach mehreren Kriterien, beispielsweise die Dauer der Mitgliedschaft und der lokale Bezug eines Pflegebedürftigen. Andere Genossenschaftsmitglieder suchen nach einer ethisch orientierten Geldanlage, wo sie mitsprechen und sehen können, was mit ihrem Geld passiert.

Zukunft der Pflege?

1500 Euro muss überweisen, wer Mitglied werden will. Das entspricht drei Genossenschaftsanteilen. Jeder kann aber freiwillig noch mehr Anteile hinzu kaufen, die dann bestimmten Bauprojekten zugeordnet werden. Dividende gibt es dafür auch, die ist allerdings bei vier Prozent gedeckelt. "Diese vier Prozent konnten wir in den vergangenen Jahren auch immer ausschütten", sagt Okrslar, der einer der Vorstände der Genossenschaft ist. Während der Bauphase wird allerdings noch kein Geld ausgeschüttet. "Das bedeutet einen gewissen Zinsverlust für Anleger. Renditefüchse werden dadurch abgeschreckt und wir bekommen nur solche Mitglieder, die sich mit unserem Konzept identifizieren."

Auch wenn es solche Projekte bislang nur sehr vereinzelt in Deutschland gibt - Hanno Heil, Pflegeexperte und Vorsitzender des Verbands der Katholischen Altenhilfe, sieht in solchen Ansätzen die Zukunft der Pflege. Ihm sind insbesondere die großen, teils ausländischen Investoren, die aus dem Pflegemarkt hohe Profite ziehen wollen, schon lange ein Dorn im Auge. "Bei einer solchen Genossenschaft hingegen werden die Bürger direkt involviert, können vor Ort die Situation ihrer älteren Mitbürger und ihres eigenen Alterns mitgestalten und haben die Sicherheit, dass nicht Dritte übermäßige Gewinne abziehen", sagt Heil im Gespräch mit tagesschau.de.

"Teillösung, die nicht Gesamtproblem beseitigt"

Auch größere Pflegeheime könnten seiner Ansicht nach von Genossenschaften gebaut werden, es müssten sich nur genügend Leute finden, die das unterstützen. Als Betreiber solle man dennoch einen professionellen Pflegeanbieter wählen, dafür sei einfach zu viel Know-How nötig. Und: "Auch Kommunen, Stiftungen oder die Kirchen können Genossenschaften anstoßen. Langfristig ist das tragfähiger als sich einfach auf einen Finanzinvestor zu verlassen", meint Heil.

Der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang ist allerdings weniger euphorisch. Er hält genossenschaftliche Projekte zwar für eine gute Idee. Er sieht darin aber nur eine Teillösung. "In Einzelfällen hilft das sicher, um die Macht der großen Investoren und Pflegeheim-Ketten einzuschränken. Die breite Masse der Pflegebedürftigen wird man damit aber nicht versorgen können." So oder so müssten neue und solide Modelle für die künftige Pflegefinanzierung her.

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