Leak zeigt: Handelsabkommen TiSA könnte nationale Datenschutzbestimmungen aushebeln

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An den TiSA-Verhandlungen beteiligte Nationen - via know-ttip.eu

An den TiSA-Verhandlungen beteiligte Nationen – via know-ttip.eu

Der im Geheimen verhandelte TiSA-Handelsvertrag — kurz für “Agreement on Trade in Services” — gefährdet den Schutz persönlicher Daten beim Transfer zwischen Staaten. Das beweist ein geleakter Verhandlungsstand, den wir in journalistischer Partnerschaft mit Associated Whistleblowing Press und ihrer lokalen, spanischen Plattform filtrala.org exklusiv veröffentlichen. Datenschutzregelungen, wie die geplante Europäische Datenschutzgrundverordnung, würden ausgehebelt und ad Absurdum geführt, falls sich der vorliegende Entwurf durchsetzen kann.

Bekannter als TiSA ist das umstrittene TTIP — das Transatlantische Freihandelsabkommen, das sich mit Waren beschäftigt. TiSA, das bisher weniger im Licht der Öffentlichkeit stand, befasst sich mit „der Liberalisierung und dem Austausch“ von Dienstleistungen und wird faktisch als Ablösung des „General Agreement on Trade in Services“, kurz GATS, fungieren. Mit der Ausnahme, dass Staaten ausgeschlossen werden, die nicht zu den rund zwei Dutzend verhandelnden Nationen gehören, die etwa 75 Prozent des Welthandels im Wirtschaftssektor ausmachen — darunter die EU, USA, Australien, Japan, Mexiko und Kanada.

Im Juni hat Wikileaks bereits ein Kapitel aus den TiSA-Dokumentenentwürfen veröffentlicht, das sich im Wesentlichen mit der Deregulation des Finanzsektors beschäftigt. Die TiSA-Verhandlungen verliefen davor beinahe vollständig ohne öffentliche Aufmerksamkeit.

Das Ziel des Vertrages ist es unter anderem, jegliche Dienstleistungen, auch öffentlicher Art, internationalem Wettbewerb auszusetzen. Das gefährdet die bezahlbare Grundbereitstellung von öffentlichen Gütern wie Gesundheits-, Wasser- und Energieversorgung sowie Bildung. Bereits privatisierte Unternehmen sollen zukünftig durch eine Sperrklausel, die „Ratchet Clause“, nicht mehr in die öffentliche Hand rücküberführt werden können, auch wenn die Privatisierung ein Fehlschlag war.

Die neuen Dokumente zeigen, dass die von TiSA betroffenen Dienstleistungen noch über das hinausgehen, was bisher angenommen wurde und aus den Wikileaks-Veröffentlichungen hervorging.

Unter den Geltungsbereich von TiSA fallen nämlich nicht nur Finanzdienstleistungen, sondern mindestens ebenso:

  • Juristische Dienstleistungen durch Anwälte, Notare, etc.
  • Technische Dienste wie Internetversorgung
  • Elektronische Transaktionen
  • Digitale Signaturen
  • Buchhaltungs- und Auditierungsleitungen
  • Steuerberatung
  • Architekturleistungen
  • Städtebauliche Leistungen
  • Technische und wissenschaftliche Prüfungen
  • Veterinärleistungen
  • Bildungsleistungen

Was hat das Ganze mit Netzpolitik zu tun? Eine ganze Menge. Denn zu freiem Wettbewerb gehört für TiSA auch freier Datenfluss, das haben die Leaks aus dem Kapitel zu Finanzdienstleistungen aus dem Juni 2014 bereits angedeutet. Die oben hervorgehobenen Punkte zeigen an, welche anderen Dienstleistungen digitaler Natur außerdem betroffen sind. Man kann sich vorstellen, welche Konsequenzen es hat, wenn Daten von Kommunikationsanbietern praktisch ungehindert zwischen Ländern ausgetauscht werden können, so heißt es:

Kein Unterzeichner darf einen Diensteanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Diensteanbieters steht.

Betrachtet man dann, wie beispielsweise US-Telekommunikationsanbieter mit den amerikanischen Geheimdiensten kooperieren, braucht es nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was auch mit den Daten europäischer Kunden passieren wird. Europäische Datenschutzbestimmungen würden damit weitgehend ausgehöhlt.

Rosa Pavanelli, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Public Services International, teilt diese Bedenken und sagte in einem Statement:

Es ist damit klar, dass die USA ihre Handelspläne dazu nutzen wollen, Beschränkungen für Daten abzuschaffen, die in anderen Ländern gespeichert oder verarbeitet werden.

[…]

Es ist ein Skandal, dass Vorsehungen verhandelt werden, die potentiell Datenschutzgesetze im Unternehmensinteresse umgehen. Die TiSA-Verhandlungspartner haben nun das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren und können das nur zurückgewinnen, indem sie sofort alle Dokumente veröffentlichen.

Derzeit wird mit TTIP, das den Handel mit Gütern und Produkten regelt, noch ein weiteres großes internationales Handelsabkommen im Geheimen verhandelt. Ein anderes, CETA, muss nur noch abgestimmt werden.

Auch bei TTIP bestehen große Datenschutzbedenken, diese werden jedoch von der Bundesregierung hartnäckig geleugnet. Das sieht man beispielsweise in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag aus dem September:

Die Bundesregierung sieht sich mit der Europäischen Kommission darin einig, dass Datenschutzfragen nicht Gegenstand der Verhandlungen über die TTIP sein sollen.

Das klingt auf Seiten des Wirtschaftsministeriums etwas anders:

Allerdings betrifft der Datenschutz zum Beispiel auch handelsbezogene Kommunikation, d.h. etwa bei Dienstleistungen im IKT-Bereich auch Fragen, ob und wie Regeln und Vorschriften zusammen passen („regulative Kompatibilität“). Solche Aspekte werden im Rahmen von TTIP behandelt. Auch Fragen des Datenschutzes beim Dienstleistungshandel, bei E-Commerce oder im IKT-Bereich werden mit dem Ziel einer gemeinsamen Verständigung angesprochen. TTIP hat jedoch keinen Einfluss auf die gegenwärtig laufenden Verhandlungen zur EU-Datenschutzreform.

Angesichts der aktuellen Erkenntnisse ist es jedoch mehr als Augenwischerei, dass bei TTIP behauptet wird, Datenschutzstandards nicht anzugreifen und währenddessen in TiSA der Datenschutz bei der Erbringung von Dienstleistungen mehr oder weniger komplett plattgewalzt wird.

Ein großes Problem an TiSA ist die vergleichsweise geringe öffentliche Aufmerksamkeit, die es den Verhandlungspartnern leicht macht, im Geheimen zu agieren. Dabei bräuchte TiSA die gleiche Beachtung wie TTIP — oder eher: beide Abkommen bräuchten viel mehr Aufmerksamkeit — um unter anderem den Ausverkauf und die Kommerzialisierung unserer persönlichen Daten zu verhindern. Und wahrscheinlich noch eine ganze Menge mehr, so sagt Pavanelli:

Wir wissen jetzt, dass TiSA den Finanzsektor weiter deregulieren wird, die Rücküberführung von gescheiterten Privatisierungen verhindern wird und Datenschutzgesetze unterwandert. Was halten unsere Regierungen eigentlich sonst noch vor uns geheim?

27 Kommentare
  1. Fickt euch ! 17. Dez 2014 @ 19:12
    • Volker Rüdinger Dr.Ing. 17. Dez 2014 @ 19:47
  2. Volker Rüdinger Dr.Ing. 17. Dez 2014 @ 19:45
    • Master Plan 31. Jan 2015 @ 9:54
  3. Frl. Unverständnis 17. Dez 2014 @ 22:59
  4. japan atomverseucht 18. Dez 2014 @ 1:00
    • Kalte Füße 18. Dez 2014 @ 16:01
      • stop-ttip.org 17. Mrz 2015 @ 15:14
  5. hansjoerg lang 30. Jan 2015 @ 22:04

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