"Ein solidarischer Akt im christlichen Sinn"

30. August 2014, 11:53 Uhr

Pfarrer Ringo Effenberger hielt in Berlin ein Abendmahl für die Flüchtlinge ab, die seit Dienstag auf dem Dach einer Asylunterkunft ausharren. Der stern sprach mit ihm über seine Aktion. Von Silke Müller

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Flüchtlinge des Camp am Oranienplatz©

Seit vier Tagen verschanzen sich neun Flüchtlinge im Obergeschoss einer Asylbewerber-Unterkunft im Berliner Stadtteil Friedrichshain und drohen, vom Dach zu springen, falls die Polizei das Haus räumen sollte. Sie hatten sich im März mit dem Berliner Senat geeinigt, die Besetzung des Oranienplatzes zu beenden. Im Gegenzug war ihnen eine wohlwollende Einzelfallprüfung und die Verlegung der Asylverfahren nach Berlin zugesagt worden. Doch der Senat hielt sich nicht an diese Abmachung und forderte die Flüchtlinge am Montag auf, Berlin zu verlassen.

Rund 100 Männer räumten ihre Quartiere und sitzen nun auf der Straße, neun besetzten das Hostel. Strom und Wasser wurden abgestellt, die Polizei lässt weder Anwälte noch Ärzte ins Haus. Nun baten die Flüchtlinge um einen Geistlichen, der mit ihnen das Abendmahl feiern möge. Pfarrer Ringo Effenberger aus Rüdersdorf bei Berlin verhandelte mit der Einsatzleitung - ergebnislos. Schließlich hielt er das Abendmahl auf der Kreuzung vor der Unterkunft ab. Der stern sprach mit dem engagierten Christen.

Herr Effenberger, Sie kamen, um Abendmahl mit den Flüchtlingen zu feiern. Wer hatte Sie gerufen?
Die Flüchtlinge baten um geistlichen, seelsorgerischen Beistand und um jemanden, der mit ihnen das Abendmahl feiert. Das zeugt von der Not dessen, der da fragt. Das Abendmahl hätte natürlich auch den Effekt einer sättigenden Speisung gehabt. Die haben ja seit Tagen nichts zu essen.

Die Situation auf dem Dach ist verfahren. Bereiten sich die Flüchtlinge auf das Schlimmste vor?
Das kann ich nicht sagen, da ich ja nicht mit ihnen sprechen durfte. Ich interpretiere diese Bitte nach einem Abendmahl so, dass die Flüchtlinge sich an jeden Strohhalm klammern. Der Kontakt zu den Anwälten wurde ja von der Polizei unterbunden. Da gibt der Glauben vielleicht Halt, es ist der Wunsch nach seelischer Entlastung.

Sie sind nicht bis zu den Flüchtlingen vorgelassen worden. Warum?
Die Polizei argumentierte, sie müsse erst eine Situation schaffen, in der sie eine Gefährdung meiner Person ausschließen könne. Dieser Argumentation folge ich nicht. Ich habe vier Stunden gewartet. Der Polizei ist es aber nicht gelungen, eine solche Situation herzustellen. Das lässt mich unbefriedigt zurück.

Man kommt dann schon auf die Idee, dass es sich um eine Hinhaltetaktik handelt.
Diese Interpretation überlasse ich Ihnen. Sie waren ja dabei.

Sie feierten das Abendmahl dann auf der Straße. Welche Bedeutung hat das Ritual für Sie in dieser Situation?
Das Abendmahl als Sakrament hat ja eine Vielzahl an Bedeutungen - etwa als Versöhnungsmahl und auch als Gemeinschaftsmahl. Dieses beides wollte ich zur Geltung bringen. Dass wir also, die wir da unten stehen, dieses Abendmahl feiern in der Gemeinschaft mit jenen, die oben auf dem Dach stehen. Als solidarischen Akt in einem christlichen Sinn.

Heute harrten die Flüchtlinge den x Tag auf dem Dach aus, ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne geistlichen Beistand...
... und es gibt auch keine ärztliche Versorgung und keinen juristischen Beistand, um das mal zu vervollständigen!

Ein Zustand, der gegen die Regeln des Grundgesetzes, das Recht auf Menschenwürde verstößt.
Ich bin seit 15 Jahren Notfallseelsorger und ich erlebe es häufiger, dass die Polizei im Einsatzgeschehen unter dem Stichwort "Gefahrenabwehr" große Ermächtigung hat. Ich denke, dass sie die in diesem Fall sehr zu Ungunsten der Flüchtlinge ausgeweitet hat. Die sind da oben einfach nur verzweifelt und fühlen sich von der Bundesregierung und dem Senat im Stich gelassen. Und das wurden sie auch. Und dagegen haben sie sich lautstark aufgelehnt, und das zu recht. Die Polizei ist hier der verlängerte Arm des Staates, der das ausbaden muss.

Wie kann es denn jetzt überhaupt weiter gehen?
In dieser konkreten Situation? Da bin ich überfragt, da stecke ich zu wenig drin. Darüber hinaus: Der unsägliche sogenannte Asylkompromiss muss weg und Flüchtlinge müssen wirklich wieder als schutzsuchende Menschen bei uns betrachtet werden, und nicht als potenzielle Kriminelle, die eine Gefahr für uns bilden. Und wenn wir hinbekommen, dass wir uns wieder als christliches, zivilisiertes Land gebärden, dann werden wir es auch hinkriegen, dass Flüchtlinge angemessen aufgenommen und betreut werden. Da sind wir als reiches Land noch lange nicht am Limit. Auch wenn uns der rechte Rand da etwas ganz anderes suggeriert.

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