Dienstag, 9.9.2008

Netzwelt

Suche
 

 
  • Drucken
  •  | Senden
  •  | Bookmark
  •  | Merken
18. Dezember 2007
 

Schrift:

STUDIVZ-DATENSCHUTZ

Studenten demonstrieren gegen das SchnüffelVZ

Von Sebastian Wieschowski

Mitglieder des StudiVZ grämen sich wegen neuer Werbeformen: Obwohl der Betreiber seine AGB-Änderung zur Werbe-Personalisierung entschärft hat, gehen Studenten auf die Barrikaden. Sie säubern ihre Profile, löschen Fotos und schreiben kriegerische Parolen auf ihre Pinnwände.

Der moderne Studentenprotestler pinselt seine Plakate nicht mehr auf Pappe, sondern gestaltet sie in Photoshop. "Dieses Profil wird bestreikt" steht auf dem neuen Benutzerbild von B.M. - der Student an der Hochschule Bremen hat seinen Namen längst aus seinem Profil bei der größten deutschen Online-Studentengemeinschaft StudiVZ gelöscht. Angaben zu Hobbys sind verschwunden, Handynummer und AIM-Name wurden getilgt.

Auf einigen der rund vier Millionen Nutzerprofile herrscht seit dem Wochenende Chaos: Parolen wie "stürzt StudiVZ" werden auf Pinnwände geschrieben, User ändern ihre Namen in Phantasiekreationen wie "Beckls Schnurz" und posten fiktive Handynummern in ihr Profil.

Der Hintergrund: Vorige Woche wollte StudiVZ sich per Änderung der Geschäftsbedingungen eine massive Nutzung der Mitgliederdaten zwecks personalisierter Werbung erlauben lassen (mehr...). Die erste verschickte Fassung der Änderungen machte Mitglieder und Rechtsexperten argwöhnisch (mehr...) - zu viele Gummi-Formulierungen. Am Wochenende besserte StudiVZ die AGB-Formulierungen nach, ignorierte aber einige Datenschutz-Bedenken (mehr...).

Mitglieder schmieren "Stasi 2.0"-Sprüche ins StudiVZ

Auffällig oft ist das Konterfei von Wolfgang Schäuble dort zu sehen, wo bisher coole Studis ihre Grinsefotos zur Schau stellten, betitelt ist der Bundesinnenminister mit den Worten "Stasi 2.0". Rund zwei Jahre nach Gründung des Facebook-Klons StudiVZ entdecken deutsche Studenten ihre Privatsphäre.

FORUM

Forum

Personalisierte Werbung - schnüffeln pur oder gute Geldquelle?

Diskutieren Sie mit anderen SPIEGEL-ONLINE-Lesern!

Nachdem bekannt wurde, dass die Holtzbrinck-Tochter die AGB für das Studentennetzwerk ändern und nutzerspezifische Werbung ermöglichen wollte, springen die Studis nun auf die Pixel-Barrikaden – als Symbol der jungen Datenschutzbewegung muss "Uncle Sam" herhalten, der einst Nachwuchs für die US-Armee anwarb und heute mit dem Zeigefinger auf empörte Studis zeigt, die an der "Revolution gegen StudiVZ" teilnehmen sollen.

Die Organisation des Studi-Streiks findet in derzeit 53 Gruppen mit Namen wie "Neue AGB – Ich muss mal austreten" oder "Ich bin dann mal weg" statt. "Was mich am meisten an dieser Angelegenheit stört ist, dass dieses Unternehmen momentan mit meinem Vertrauen spielt", sagt ein StudiVZ-Mitglied mit dem Vornamen "Arno" und dem Nachnamen "Nym". Der Student der Fachhochschule Dortmund hält es für gefährlich, die AGB immer wieder zu ändern: "Den Leuten von StudiVZ werfe ich immer noch vor, dass sie ihre soziale Verantwortung vernachlässigen", sagt Arno.

Studenten nennen Zwangszustimmung eine "Frechheit"

Der anonyme Protestler ist nicht allein. Julian Junge, Gründer der größten Protestgruppe "Achtung - StudiVZ ändert die AGB", verwaltet inzwischen mehr als 7500 Mitglieder. Fast im Minutentakt treten Studierende auch in die Gruppe "Neue StudiVZ AGB (12/07) - ich bin dann mal weg" ein. Am 14. Dezember gegründet, hat die Gruppe schon mehr als 2100 Mitglieder. "Ich habe die Gruppe zuerst als Ablenkung zu einer Klausurvorbereitung gegründet. Der Auslöser dafür waren die von StudiVZ versandten neuen AGB, die ich für eine absolute Frechheit halte", berichtet Gruppengründer Torsten Wanka, Student an der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr. Auch die "Zwangszustimmung" zu den neuen AGB hält der Student für eine Frechheit.

Das Ziel des Web-Demonstranten ist klar: "Die AGB sollen noch einmal überarbeitet und alle Passagen zur Datenauswertung und persönlicher Werbung entfernt werden. Außerdem möchte ich mit der Gruppe auch anderen Mitgliedern die Konsequenzen der Zustimmung aufzeigen", sagt Wanka, der inzwischen einen Teil seines Tages damit verbringt, die Mitglieder der Gruppe zu Moderatoren zu machen. Nach dem Schneeballprinzip sollen möglichst viele Studis in die Gruppe eintreten.

Nun diskutieren die Studentenprotestler aus dem Internet über Forderungen an den StudiVZ-Betreiber und grübeln mit geschwärztem Nachnamen und gelöschtem Benutzerfoto über einen passenden Kollektiv-Austrittstermin oder Alternativen. Unter die plötzliche Angst vor der Datenkrake mischt sich auch Skepsis gegenüber der anhaltenden Hysterie: "Austritt ist für mich keine Lösung", sagt Peter England, Jurastudent an der Universität Halle-Wittenberg: "Am besten ist es, bis zum letztmöglichen Termin mit StudiVZ zu verhandeln, um eine für uns annehmbare Lösung zu finden", schlägt der Student vor. Wenn das nicht passiert, könnte man einfach den neuen AGB nicht zustimmen und sich bequem exmatrikulieren lassen.

Studenten drohen: Austritt oder Fake-Profil

Nora Teichert wird sich mit ihren Freunden weiterhin im StudiVZ treffen: "Die Idee, Zielgruppen direkt zu suchen und anzusprechen, ist älter als ich und begleitet mich mein ganzes Leben, siehe Spielzeugwerbung im Kinderfernsehen."

Offenbar ist der "Studentenprotest 2.0" längst bei den Verantwortlichen des StudiVZ angekommen. Einer der StudiVZ-Gründer hat sich laut Mitgliedern per "privater Nachricht" an Gründer von Protestgruppen gewendet. Er soll versichert haben, dass ihm die "Verwirrung und Verunsicherung" sehr leid tue. Der Verkauf von Daten sei das Schlimmste, was man sich bei StudiVZ vorstellen könne. Weitere Mißverständnisse sollen im persönlichen Gespräch geklärt werden.

Das ist wohl auch nötig: "Das Vertrauen von Millionen Studierenden steht auf dem Spiel", schimpft der vermeintliche StudiVZ-Protestführer Torsten Wanka. Der Student erwartet, dass sich die Mitglieder in zwei Gruppen aufteilen werden: "Die einen, und dazu gehöre ich auch, werden austreten. Die anderen werden ihren Account zu einem oberflächlichen, nichtssagenden Profil umgestalten oder ein Fake-Profil anlegen", vermutet Wanka. Beide Varianten hält er eigentlich für "schade", denn die Idee hinter StudiVZ sei "doch eigentlich ganz nett".





MELDUNGEN AUS ANDEREN RESSORTS

WISSENSCHAFT

Superbeschleuniger LHC: Teamwork ermöglicht das größte Experiment aller Zeiten

Große Anspannung am Kernforschungszentrum Cern: Endlich soll der gigantische Teilchenbeschleuniger angeworfen werden und den Urknall simulieren. Er ist das Produkt phänomenaler Teamarbeit mit flachen Hierarchien. Mächtige Chefs gibt es nicht - ist genau dies das Erfolgsgeheimnis der Schweizer? Von Holger Dambeck mehr... Video | Forum ]

KULTUR

Baader- Meinhof- Komplex: Selbstmorde mit Ankündigung

Die Memoiren eines Sonderermittlers bringen brisante Details aus dem Deutschen Herbst ans Tageslicht: Die Spitze der RAF drohte 1977 mehrfach mit Selbstmord, der Beamte gab diese Warnungen im Bundeskriminalamt weiter - doch offenbar ließ man die Häftlinge gewähren. Von Michael Sontheimer mehr... Forum ]



© SPIEGEL ONLINE 2007
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH